Interview mit einem Aktivist des A-films Kollektivs
Dieser Bericht erschien im Romp-Heft # 28 (Sommer / Herbst 08):
A-films ist ein autonomes, anarchistisches Film-Kollektiv. Es hat seine Standbeine in Europa und im Nahen Osten. Das Kollektiv veranstaltet Video Workshops in diversen Ländern des Nahen Osten, speziell in palästinensischen Flüchtlingslagern.
Interview mit Hans-Kaspar Schuler vom A-films Kollektiv:
R: Erzähl uns doch etwas über deine erste Reise in den Nahen Osten und wie es dazu gekommen ist...
HKS: Unsere Arbeit im Nahen Osten hat im Jahr 2002 begonnen, als ich mit einer Gruppe aus der Schweiz das erste Mal nach Palästina gereist bin, quasi Hals über Kopf.
Es war die Zeit der grossen Militäroperationen. Die Gewalt auf beiden Seiten, das heisst sowohl von palästinensischen Militanten wie auch vom israelischen Militär, war stark eskaliert, und da versuchten wir einzuschreiten und etwas zu machen. Grundsätzlich waren wir dorthin gereist um vor Ort zu sein und alleine schon durch unsere Präsenz die israelische Armee zu verunsichern und ihre Aktionen etwas einzuschränken. Weil ich weder Pazifist noch Schweizer-Neutralitäts-Fanatiker bin hat sich das bei mir aber ziemlich schnell geändert. Also haben wir angefangen uns immer mehr in die Schusslinien zu stellen, d.h. natürlich auch Partei zu ergreifen. Wir haben die Sache nicht mehr so betrachtet: wir sind Aussenstehende, neutral, wir mischen uns da nicht ein. Nein, genau umgekehrt, wir mischen uns ein!
Damals machten wir vor allem direkte Aktionen. Arbeit mit Ambulanzen und Sanitäter, Human Shield Aktionen, Ausgangssperren brechen, Leute mit Nahrungsmitteln versorgen, auch Demonstrationen, Menschenrechtsarbeit und vor allem auch Indymedia-Arbeit. Das bedeutet Filmen, Schreiben und Fotografieren.
So habe ich in Palästina gearbeitet. Jeweils einige Monate da, dann wieder einige Monate hier dann wieder da.
Zu dieser Zeit habe ich vor allem in Nablus und den umliegenden Dörfern gearbeitet. Es ist einfach effizienter und effektiver wenn du an einem Ort bleibst und die Kenntnisse vom Ort, die sozialen Beziehungen und Erfahrungen gut zu nutzen versuchst, statt von einem Ort zum anderen zu ziehen, niemenschen wirklich zu kennen und jedes Mal wieder von Null zu beginnen. Als ich 2004/05 für 10 Monate da war, begann sich die Sache langsam zu ändern, vor allem weil die israelische Armee ihre Militärstrategie geändert hatte und weil der Widerstand auf palästinensischer Seite stark nachgelassen hatte. So mussten wir auch unsere Arbeit anpassen. Wir setzten unseren Schwerpunkt vermehrt auf Medienarbeit. Das bedeutet primär Workshops mit Leuten vor Ort zu machen, im Bereich Fotografie, Video/Film und Reportagen. Dabei geht es uns darum, die ganze Indymedia-Idee zu verbreiten - das ist natürlich keine missionarische Sache - wir versuchen jungen Menschen vor Ort zu zeigen wie mensch kreativen politischen Aktivismus machen kann. Auch effektiven politischen Aktivismus, wie mensch mit einfachen Mitteln relativ viel herausholen kann. Die meisten Leute dort sind nicht unbedingt vertraut mit den Aktionsformen die wir hier kennen. Dank Internet und anderen Entwicklungen ist es auch so, dass z.B. Filme machen nicht mehr etwas Elitäres ist, es ist etwas das eigentlich jeder und jede machen kann.
2006 war ich das erste Mal in Syrien und Libanon, vor allem in den dortigen palästinensischen Flüchtlingslagern. Da ging es uns vor allem darum, zu den Problemen die wir in Palästina hatten (z.B. mit der Einreise) Alternativen zu suchen; wir hatten enorme Schwierigkeiten mit der israelischen Armee und dem Geheimdienst. So hat es sich quasi aufgedrängt Alternativen im thematisch gleichen Bereich zu suchen. Mensch muss sich bewusst sein dass es c.a. 4 Millionen palästinensische Flüchtlinge gibt, welche quasi überall leben, hauptsächlich natürlich im Nahen Osten. So ist dies nicht einfach ein Thema welches sich auf die besetzten palästinensischen Gebiete beschränkt; der grösste Teil der Flüchtlinge lebt ja gar nicht mehr in Palästina oder auf dem Gebiet was einmal Palästina war, sondern in Libanon, Jordanien, Syrien usw. Erstens ist ihr Schicksal dort nicht wirklich bekannt, zweitens wird dort dementsprechend wenig politische Arbeit gemacht.
Der Krieg im Sommer 2006 war ein weiterer Faktor der uns im Libanon gehalten hat. Zum Ende des Krieges gingen wir in den Südlibanon, machten dort Filme und Workshops. Seither sind wir vor allem in Libanon aktiv, aus praktischen Gründen. Dort arbeiten wir im Nahr al-Bared Camp, ein zerstörtes Flüchtlingslager wo letztes Jahr 3-4 Monate Kämpfe waren. Es ist eine aktuelle Sache welche wichtig ist, dass sie gemacht wird weil sonst niemensch etwas macht. Auch kennen wir uns dort langsam ganz gut aus, wir kennen die ganze Umgebung, die Leute, und darauf bauen wir laufend auf. Das heisst, wenn ich mal zwei drei Monate nicht dort bin, muss ich nicht wieder von Null anfangen, sondern kann etwa dort anknüpfen wo ich aufgehört habe. Es ist quasi so als wäre ich nie weg gewesen.
R: dass ihr eure Arbeit in Palästina selbst beendet habt, hat also vor allem damit zu tun, dass euch die Arbeit erschwert wurde, oder es für euch fast nicht mehr möglich war einzureisen?
HKS: Der repressive Aspekt hat sicher grosse Auswirkungen darauf gehabt ja. Aber wie gesagt waren auch politische und andere praktische Überlegungen entscheidend. Dazu kam, dass in Palästina das Arbeiten schwierig wurde. Die Situation war so mühsam geworden, dass wir kaum noch Leute gefunden haben, welche Willens waren ihre Zeit für politischen Aktivismus zu verwenden bzw. dies gar nicht können weil sie schlichtweg jeden Rappen irgendwo auftreiben müssen um davon zu leben. Da es nicht primär unser Ziel ist, selber Filme zu machen, sondern Workshops und Filmkollektive vor Ort zu gründen - das heisst Leute zu unterstützen die ihre eigenen Medien machen wollen - konnten wir, in Palästina, nicht verwirklichen. Ich bin überzeugt dass wir momentan in Palästina einfach unsere eigenen Filme machen würden, und das ist nicht was wir wollen. Es ist ein Teil davon ja, aber das eigentliche Ziel sind die Workshops.
R: War das zu Beginn noch anders?
HKS: Ja das war in der Anfangszeit noch ganz anders. Nicht das es damals einfach gewesen wäre, aber es war anders weil die Menschen am Anfang der Intifada, am Anfang des letzten Aufstands, noch in einer ganz anderen Stimmung waren und noch Widerstand geleistet haben, sei das nun bewaffnet oder nicht bewaffnet - es lief grundsätzlich einfach viel mehr. Und Israel hat es natürlich geschafft diesen Widerstand in den letzten Jahren brutal zu unterdrücken. Durch den Wirtschaftskrieg der seit Jahrzehnten am laufen ist, welcher aber in den letzten Jahren ganz krass verstärkt wurde, wurden die Leute letzten Endes derart gelähmt, dass ihr fast einziger Gedanke ist, wie sie pro Tag 10 Fr. zusammen kriegen um die Familie zu ernähren?
R: Wie ist das mit dem Zaun/Mauer welche seit 2002 von Israel errichtet wird; habt ihr das im Alltag konkret gespürt?
HKS: Jein...
R: Weil ihr nicht in den Grenzgebieten gearbeitet habt?
HKS: Genau, die Gebiete in welchen ich hauptsächlich gearbeitet habe sind von der Mauer nicht direkt betroffen. In Nablus ist das Hauptproblem, dass die Stadt seit etwa 6 Jahren total umzingelt ist. Du kommst nur durch Checkpoints hinein. Die meisten Menschen, vor allem die 15 bis 40 Jährigen, müssen für alles Mögliche Spezialbewilligungen haben. Die Bedingungen dafür ändern sich laufend. Je nach so genannter Bedrohungs- oder Sicherheitslage, dürfen diese oder jene die Checkpoints passieren. Das bezieht sich nicht nur auf die Menschen sondern auch auf ökonomische Güter. In Nablus ist die einheimische Ökonomie zerstört worden und völlig abhängig von israelischen Produkten. Das ist natürlich nicht nur in Nablus so, sondern in anderen Orten auch. Dies hat grosse Auswirkungen auf vieles, z.B. gibt es kaum Arbeitsplätze für die Menschen und selbst wenn sie Arbeit haben bringt diese nichts ein. Das endet schlussendlich darin, dass alle Taxifahrer werden und sich quasi gegenseitig die Arbeit wegnehmen. Das hat eine enorm lähmende Wirkung, auch psychisch und sozial, weil es mit nichts irgendwie voran geht, überall hat es Grenzen, sei dies nun physisch oder im Kopf... Die Leute können sich z.B. ausbilden oder einen Uniabschluss machen aber es bringt ihnen nichts weil sie vor Ort gar nicht damit arbeiten können. Das heisst wenn du einen Uniabschluss hast, ist die Konsequenz klar: ab ins Ausland, es gibt gar nichts anderes.
Das ist natürlich die gleiche Ausgangslage wie vielerorts, in den Flüchtlingslagern in Libanon ist es genauso schlimm; dort wollen wahrscheinlich 90% der Jungen weg nach Europa oder in die USA. Aber das betrifft auch Libanesen, das betrifft allgemein Menschen in, sagen wir mal, Konfliktgebieten in solchen Ländern. Natürlich ist die Sache in Palästina durch die Besatzung usw. noch viel verschärfter - aber Migration ist ein Thema welches im Nahen Osten viele Leute betrifft, und vor allem junge Leute. Ich war auch schon in Nordafrika, da war die Situation kein bisschen besser.
R: Kannst du uns etwas über die Situation, die Lebensbedingungen in den Flüchtlingslagern erzählen. Vor allem weil sie ja kaum zur Kenntnis genommen werden, praktisch nie etwas darüber in den Medien berichtet wird - und auch weil sich die meisten ein Flüchtlingslager wahrscheinlich eher als Zeltstadt vorstellen... wie sieht es denn dort wirklich aus?
HKS: Wir arbeiten vor allem in Flüchtlingslagern, weil sich dort in den palästinensischen Flüchtlingslagern der so genannte politische Konflikt wahrscheinlich am deutlichsten kristallisiert. Nicht zuletzt sind diese Flüchtlingslager ein physischer Beleg für den Ursprung dieser Situation welche wir heute den Nahostkonflikt nennen. Vor allem 1948, das Jahr der israelischen Staatsgründung, wie auch schon im Vorfeld und Nach dieser Staatsgründung, wurden Hunderttausende von Palästinenser aus ihren Dörfern und Städten vertrieben. Nach Jordanien, Libanon, Syrien und dorthin wo heute die besetzten Gebiete sind, also einem Bruchteil davon was früher Palästina war. Es sind also immer noch
Hunderttausende von Menschen welche in diesen Flüchtlingslager leben, in denselben Lagern in welche sie vor 50 Jahren geflüchtet sind. Natürlich bestehen diese Lager nicht mehr aus Zelten. Sie sind vergleichbar mit Vorstadtgetthos. Aber es gibt natürlich verschiedene Arten von Flüchtlingslagern: eher urbane Lager, welche verarmten Stadtvierteln gleichen, andere befinden sich ausserhalb der Städte und haben gewisse Formen eines Dorfes angenommen obwohl sie nicht aussehen wie ein Dorf. Aber sie sind nicht nur eintönig, grau, scheisse und deprimierend. Sie sind auch das Gegenteil: es gibt dort einen starken sozialen Zusammenhalt und sie sind vor allem Quellen von Widerstandsbewegungen, von politischem Aktivismus und wie schon erwähnt nicht zuletzt auch ein physischer Beleg dafür was erreicht werden soll; nämlich die Rückkehr nach Palästina. Nebst diesen eher symbolischen Aspekten darf mensch nicht vergessen dass diese Lager, speziell in Libanon wo immer noch 200'000 Menschen in Flüchtlingslagern wohnen, während den Bürgerkriegen Massakern ausgesetzt waren. Es ist dort extrem Eng und die Lebensbedingungen sind hart. Die Zukunftsaussichten der Menschen sind schwierig. Es ist nicht so, dass wir sagen könnten, diese Menschen wurden vor 50 Jahren vertrieben, sie würden gerne zurück aber sie müssen halt noch ein bisschen warten. Auch die letzten 50 Jahre waren konstant voll von Krieg, Problemen, Gewalt u.s.w. Die Probleme häufen sich.
Wie gesagt arbeiten wir momentan im Nahr al-Bared Camp im Nordlibanon. Wir arbeiten mit Flüchtlingen, welche in ihrem Leben schon zum dritten Mal vertrieben worden sind. Das sind alte Menschen die damals aus Palästina vertrieben worden sind, dann beispielsweise ins Tell az-Zataar Camp bei Beirut geflüchtet sind. Während des Bürgerkrieges wurde das Camp zerstört, so sind sie wieder vertrieben worden und kamen nach Nahr al-Bared. Letztes Jahr gab es dort Krieg. Sie sind wieder vertrieben worden und wohnen in Container-Häuschen neben ihrem zerstörten Flüchtlingslager.
Der Ursprung all dieser Probleme, auch vieler innenpolitischen Problemen im Libanon, ist die Vertreibung der Palästinensischen Bevölkerung 1948. Aber diese Probleme haben sich angehäuft, und daraus entstehen immer wieder neue Probleme. Solange die Frage der Rückkehr nicht gelöst ist, wird es immer wieder Probleme geben. Und diese Probleme sind massiv, wie letztes Jahr die Zerstörung eines ganzen Flüchtlingscamps durch die Libanesische Armee. Es sind nun 30 - 40'000 Menschen auf einen Schlag Obdachlos.
Ein Teil des Zerstörten Nahr al-Bared Camps
R: Kannst du uns Näheres über die Hintergründe der Zerstörung des Nahr al-Bared Camps erzählen?
HKS: Im Mai vor einem Jahr sind in Nahr al-Bared Kämpfe zwischen nicht palästinensischen Militanten, eine Gruppierung namens Fatah al-Islam, und der libanesischen Armee ausgebrochen. Ich werde das nun ein wenig vereinfachen: die libanesische Armee und Politik hat sich nicht einen Moment darum bemüht eine politische Lösung für diese Auseinandersetzungen zu suchen. Sie hat dieses Flüchtlingslager von Anfang an belagert und während drei Monaten unter Beschuss genommen so dass alles zerstört wurde. Das ist eigentlich das politisch essentielle an der Sache. Ich habe über die Hintergründe der Kämpfe nichts gesagt denn sie sind nicht so wichtig. Wichtig ist die Tatsache, dass mensch nicht wegen 200 - 300 Militanten, welche Auseinandersetzungen mit der Armee hatten und sich in diesem Flüchtlingslager verschanzt haben, ein ganzes Flüchtlingslager mit 40'000 EinwohnerInnen bodengleich kaputt machen muss. Das hat politische Hintergründe. Diese Hintergründe sichtbar zu machen, daran arbeiten wir nun seit einem Jahr, aber es ist natürlich sehr schwierig. Natürlich ist es schwierig weil die libanesische Regierung diese Hintergründe logischerweise nicht offen darlegen würde. Wir müssen Indizien dafür suchen und versuchen diese zu präsentieren. Es spielen wie immer in Libanon verschiedene Faktoren mit, innen- und aussenpolitische Gründe.
Seit gut einem Jahr begleiten wir diese Flüchtlinge. Wir waren im benachbarten Flüchtlingscamp, wo die Vertriebenen lange Zeit wohnen mussten. Sobald ein Teil der Flüchtlinge wieder ins zerstörte Nahr al-Bared Camp zurückkehren konnte, arbeiteten wir auch dort wieder. Einerseits haben wir Videoworkshops und eigene Filme gemacht, was sehr schwierig ist weil das Filmen verboten ist und das Lager vom libanesischen Geheimdienst und der Armee beherrscht wird. Ich war diesen Frühling 5 Wochen dort, habe einen Kurzfilm gemacht, aber eigentlich 5 Wochen als Bauarbeiter gearbeitet und mitgeholfen ein Haus wieder aufzubauen, b.z.w. erstmal den ganzen Schutt wegzuräumen damit wir es wieder aufbauen konnten. Damit will ich sagen; es gibt viele Sachen die politisch sind auch wenn sie im ersten Moment nicht danach aussehen. In diesem Fall ist es so, dass es politisch extrem wichtig ist das Flüchtlingslager so schnell wie möglich relativ autonom wieder aufzubauen und nicht auf irgendwelche internationalen und staatlichen Lösungen zu warten oder auf irgendwelches Geld, sondern die Schaufel in die Hand zu nehmen und zu arbeiten. Das ist auch etwas was viele Leute tun können ohne die gesamten Zusammenhänge zu kennen, ohne fliessend arabisch zu sprechen wie wir das mittlerweile können. Es sind relativ einfache Sachen um anzuknüpfen.
Es ist auch etwas das ich heutzutage an dieser sogenannten linken Szene oder den internationalistischen, antinationalistischen Kreisen vermisse: dass vieles was früher an solidarischer Arbeit gelaufen ist heute praktisch in existent ist. Es wird verdammt viel gequatscht, starke Worte werden in den Mund genommen, aber wenn es darum geht wirklich den Arsch zu bewegen und etwas zu machen läuft leider nicht mehr viel. Wenn mensch beispielsweise zurückschaut wie es früher in Nicaragua war, als noch dutzende Leute dorthin gereist sind, als Solidaritätsbrigaden und um zu arbeiten - nicht um grosse Reden zu schwingen, sondern um zu arbeiten - und den Menschen vor Ort zu helfen und politische Projekte zu unterstützen... solche Sachen sind heute abgesehen von Chiapas sehr beschränkt vorhanden, habe ich den Eindruck. Das eine muss das andere natürlich nicht ausschliessen; ich würde mir nicht anmassen Leute zu kritisieren die hier etwas machen, es gibt auch hier in der Schweiz genügend zu tun. Ich will nicht sagen alle sollen ins Ausland gehen, dies und jenes tun. Aber meine Meinung ist, dass sich politischer Aktivismus nicht auf grosse Reden schwingen, eine Demonstration nach der anderen und blinden Aktivismus beschränken soll, sondern aus solider, konstanter politischer Arbeit, vor allem über die Grenzen hinweg, besteht.
R: Hat das Thema Palästina durch die ganze antideutsche Debatte nicht sehr viel an Stärke verloren?
HKS: Nein...
R: ... meinst du nicht? Denn ich habe oft das Gefühl dass viele sich nicht mehr getrauen die Worte Solidarität mit Palästina auszusprechen...
HKS: ... in Bezug auf Deutschland ja, das ist ein Hemmfaktor. Aber im Bezug auf alle anderen Regionen oder Länder glaube ich das nicht. Das Problem scheint ein anderes zu sein. Viele Leute haben ihre revolutionären Romantiken welche irgendwelche revoltierenden, links-gesinnte Menschen beinhalten die jeden Abend ihren Joint rauchen, einen roten Stern auf dem T-Shirt tragen und alles ist schön und gut. Sie kämpfen für eine gerechte Welt, unterstützen dies und jenes. Aber diese romantische Ausgangslage existiert nicht. Was ich damit sagen will ist, dass die meisten Mühe damit haben Toleranz aufzubringen für anders denkende Menschen. Ich meine, wir haben in den letzten Jahren im Nahen Osten mit Leuten aus verschiedenen politischen Widerstandsbewegungen gearbeitet, mit welchen sich unsere Ziele auch nicht eins zu eins decken, manchmal überhaupt nicht. Aber dies soll nicht ausschliessen dass wir dort arbeiten oder dass mensch dort versucht politische Projekte zu verwirklichen. Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass es auch dort Leute gibt die durchaus andere Ideen haben als die Widerstands-bewegungen. Ich glaube dass die Assoziation Naher Osten, Terrorismus, Islam ein Hemmfaktor geworden ist und die Leute abgeschreckt hat, einerseits gesamt-gesellschaftlich aber vor allem auch in der linken Szene. Es ist halt nicht das was mensch so als super Linker am ehesten machen würde, denke ich. Ich nehme an, die Verlockung nach Chiapas zu gehen ist wahrscheinlich einiges höher weil mensch das Gefühl hat, dies passe einem politisch eher in den Kram. Was durchaus stimmen mag, was einem aber doch nicht soweit beeinflussen sollte dass mensch sagt, ach davon lassen wir die Finger dahin gehen wir nicht. Die meisten Konflikte sind doch wesentlich komplexer als mensch denkt. Am besten ist es, selber dorthin zu gehen und sich ein Bild zu machen bevor solche Wertungen abgegeben werden.
Natürlich ist die ganze Thematik Naher Osten völlig abgestumpft und hat auch die Leute abgestumpft. Das ist vor allem durch die Massenmedien entstanden. Logisch, es ist ein Konflikt den es seit Jahren gibt, welcher Wellen schlägt, rauf und runter geht, andere Ausprägungen hat, quantitativ und qualitativ. Die Massenmedien lassen den Konflikt so aussehen als ob es immer derselbe alte Kuchen wäre um den gestritten wird. Als ob es doch so einfach wäre wenn jeder dem anderen einfach die Pfoten schütteln würde... aber so einfach ist es halt nicht. Dieses Bild wird seit Jahren transportiert, relativ einfach und mit klaren Schlagwörtern, relativ starkem Rassismus und orientalistischen Bildern.
R: warum Filme machen und wie? Was ist das Ziel eures Projektes und was möchtet ihr vermitteln? Wir haben zwar alles schon ein bisschen angeschnitten aber noch nicht wirklich ausführlich darüber geredet... Oder auch wie ihr eure Arbeit angeht.
HKS: Unser Fokus auf Videoaktivismus hat verschiedene Gründe und Ziele: Zum einen erscheint uns Videoaktivismus, besonders im Nahen Osten, als ein gutes und wichtiges Mittel um das von den Massenmedien verbreitete Bild anzugreifen und durch ein anderes zu ersetzen. Dabei geht es darum, dass wir nicht Medien produzieren, welche über ein Thema berichten, sondern Medien vor Ort b.z.w. dass Leute von dort ihre eigenen Fähigkeiten nutzen um ihre eigenen Sachen zu verbreiten, anstatt sich dauernd auf westliche Massenmedien zu verlassen. Das Bild welches diese in den letzten Jahrzehnten immer wieder verbreitet haben, hat halt leider nicht wirklich viel mit der Realität vor Ort zu tun. Ich denke dieses Phänomen ist im Nahen Osten noch akzentuierter als an anderen Orten dieser Welt. Das Ganze wurde bestimmt auch durch diesen Sicherheits- und Terrorismusdiskurs, durch diese ganze Maschinerie welche seit 2001 läuft noch mehr verschärft. Gerade deshalb finde ich es umso wichtiger, genau an solchen Orten Gegenmedien aufzubauen.
Ein anderer Punkt ist, dass in meinen Augen das Medium Video anderen Medien in gewisser Weise überlegen ist. Wir haben jahrelang Fotos gemacht und Berichte geschrieben, vor allem über Menschenrechtsverletzungen. Aber wenn ich etwas wirklich zu dokumentieren versuche, und das möglichst glaub würdig, dann scheint mir das Video die beste Art dies zu erreichen, obwohl natürlich auch diese gefälscht werden können. Aber ich glaube es ist die beste Möglichkeit für uns, glaubhaft zu dokumentieren; sei das nun um die Verbrechen der israelischen Besatzungsarmee oder was neuerdings die libanesische Armee in Nahr al-Bared anstellt...
Wie vorher schon erwähnt hat sich in den letzten Jahren einiges geändert, Filmen ist keine elitäre Angelegenheit mehr. Jeder und jede kann es, mit dem Internet erst recht. Diese Möglichkeit müssen wir nutzen, mit ihr können wir etwas erreichen. Das Handeln vor Ort ist für mich persönlich aber wichtiger als Medienaktivismus. Klar haben wir den Fokus auf Videos gesetzt, wobei es darum geht die Leute von etwas zu überzeugen oder ihnen etwas zu zeigen, was sie bisher nicht wussten. Dabei hoffen wir natürlich, dass durch unsere Arbeit andere Leute ihren Arsch bewegen.
Für mich ist die direkte Aktion um einiges wichtiger als der indirekte Medienaktivismus. Aber auch hier sollte das eine das andere nicht ausschliessen. Gerade in Palästina wo wir jahrelang mit einigem "Erfolg" direkten Aktivismus gemacht haben, hat dies uns eine Richtung gezeigt in welche wir in Zukunft gehen können. Wenn irgendein Bush oder wer weiss ich wieder irgendwo einen Krieg veranstaltet, kann es nicht meine Rolle sein, einfach vor dem Fernseher zu hocken oder darüber einen Video zu produzieren. In erster Linie werde ich versuchen einzugreifen und es zu verhindern und das ist auch möglich.
Dies ist natürlich ein Extrembeispiel, aber es kann auch auf lokale Probleme die wir hier haben übertragen werden. Das wichtigste ist Intervention. Zu intervenieren und aktiv zu sein und zwar direkt. Der Videoaktivismus ist eine indirekte Methode welche die direkte durchaus unterstützen kann, sollte aber nicht alleine laufen. Ich wäre damit nicht zufrieden.
Wir versuchen lokale Leute und Kollektive dazu zu bringen, ihr eigenes Zeux zu produzieren. Ich habe vorhin gesagt, dass es darum geht, Leute zu überzeugen. Das war falsch ausgedrückt: Es geht mehr darum, Quellenmaterial - wie es bei den HistorikerInnen heisst - zu produzieren. Wie und was die Menschen dann darüber denken, ist eine andere Sache. Unsere Kurzfilme sind nicht derart, dass wir versuchen ein Argument vorwärts zu treiben und jemensch von diesem oder jenem zu überzeugen, sondern eher so, dass wir versuchen Realität zu vermitteln. Dies trägt natürlich einen Teil zur Meinungsbildung bei, aber wir versuchen nicht irgendwem unsere Meinung aufzuzwingen. Ich würde z.B. nie einen Film drehen der so aussieht: dies und das ist das Problem, das und jenes muss getan werden dann ist dies und das wieder gut. Wir versuchen zu zeigen wie es läuft, was läuft, Gründe dafür werden teilweise genannt, teilweise nicht, aber Handlungsanweisungen zu geben würde uns prinzipiell nicht in den Sinn kommen, das muss jeder und jede selber für sich überlegen. Wichtig ist auch, dass wir nicht versuchen komplette Filme zu machen, wir sind auch Amateure und haben eigentlich keine grosse Ahnung von der Sache, aber wir versuchen sicher nicht irgendwelche Supermarkt Filme zu machen; in dem Sinne dass du in ein Geschäft gehst, einen Film kaufst, nach Hause gehst und in konsumierst und fertig. Wir produzieren Fragmente oder Anstösse von welchen wir hoffen die Leute zum Nachdenken zu bewegen und dass sie schlussendlich etwas daraus machen. Dieser Denkprozess ist sehr wichtig, weil wir versuchen die Leute anzukicken und etwas zu vermitteln anstatt ihnen vorgefertigte Meinungen quasi aufzuzwängen und darauf zu hoffen dass die Meinungen übernommen werden und irgendein Resultat heraus schaut.
In Zukunft werden wir auch vermehrt versuchen Thematiken wie Migration zu behandeln. Wir arbeiten seit Jahren mit Filmkollektiven in der Türkei, Libanon, Syrien usw. das heisst an Orten und in Ländern wo Migration ein grosses Thema ist - nicht nur Migration ist transnational sondern auch unsere Arbeit. Wir haben in den letzten Jahren transnationale Netzwerke aufgebaut und ich denke es ist enorm wichtig auf dieser Ebene weiter zu arbeiten. Auch in anderen politischen Thematiken sollte mehr auf dieser Ebene gearbeitet werden, was aber nicht bedeutet bloss in allen möglichen Ländern von einem Vernetzungstreffen zum nächsten zu rennen, ich rede von Arbeit. Ich habe das Gefühl, dass in gewissen Sachen viel zu viele Meetings, Sitzungen und Treffen abgehalten werden und die Resultate davon meisten gleich null sind. Ich habe seit Jahren kaum mehr an Sitzungen teilgenommen, das hab ich früher oft genug gemacht, das hat gereicht.
R: wie koordiniert ihr euch dann?
HKS: informell. Wir nennen uns Kollektiv, sind eigentlich nur wenige Leute, aber was unsere Arbeit charakterisiert ist, dass wir offen sind und die Zusammenarbeit mit vielen anderen Menschen. Im Libanon arbeiten wir einerseits mit den Menschen in den Flüchtlingslagern, andererseits oft mit einem befreundeten Filmkollektiv namens "cinemayat". Dieses unterstützt uns praktisch und inhaltlich und dadurch dass wir durch Diskussion und Kritik viel lernen können. Gerade wenn wir an Orte reisen von denen wir praktisch nichts wissen ist es extrem wichtig mit lokalen Leuten in Kontakt zu sein. Damit wir ganz andere Blickwinkel entwickeln können. Anders als wenn mensch einfach mal eine Woche dahin und dorthin reist. So funktioniert Mainstream-Journalismus: da kommt einer mal für zwei Stunden an einen Ort und meint er hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen und masst sich auch noch an über das zu berichten was er gesehen hat und dies meist in einer Art und Weise welche nichts mit der Realität zu tun hat. Und meistens auch ohne etwas zurück zulassen. Ich habe manchmal selber schon ein schlechtes gewissen wenn ich irgendwohin reise, einen Kurzfilm drehe und dann wieder abreise ohne wenigstens einem oder zwei Menschen etwas kleines beigebracht zu haben womit sie dann selber etwas anfangen könnten. Es ist nicht mein Idealbild als Europäer da und dorthin zu gehen und weiss ich nicht was zu machen, mein Idealbild wäre eher dass es überall kleine antiautoritäre Kollektive gäbe welche ihre eigenen Sachen produzieren und unter diesen Kollektiven und anderen Individuen eine starke Zusammenarbeit bestehen würde. Zum Teil ist es ja auch schon ein bisschen so... die Art wie wir arbeiten verkörpert dies. Unsere Filme sind alle auf fünf Sprachen übersetzt. Verschiedene Leute aus aller Welt helfen uns mit Übersetzungen und wir helfen anderen. Es gibt z.B. in den Staaten einige Filmkollektive welche Material für Filme suchen welches wir ihnen schicken können etc. so entstehen auch Filme welche von verschiedensten Einzelpersonen Beiträge enthalten.
Und gerade mir als Anarchist ist es sehr wichtig dass wir aufhören ständig in diesen Grenzen zu denken und zu denken was da und dort geschieht geht mich eigentlich gar nichts an, es ist ja so weit weg und irgendwie ist das eh nicht so mein Land und überhaupt... ich denke solange ich in diesem Land Steuern zahle und die RUAG 50 km von hier entfernt ist bin ich durchaus verpflichtet an anderen Orten aktiv einzuschreiten, wenigstens einen kleinen Beitrag zu leisten. Nebst dieser Verpflichtung sehe ich es auch als ganz normalen menschlichen Standpunkt, dass wir versuchen einander zu helfen und das ja nicht an anderen Hautfarben oder Nationalitäten scheitern sollte.
R: Nun, dein Idealbild wäre dass es überall kleine Kollektive gäbe welche politische Arbeit machen, wie sieht es in Wirklichkeit aus? Welche Projekte kennst du aus dem Libanon, aus den Flüchtlingslagern, den besetzten Gebieten und auch in Israel...
HKS: Zum Teil ist es deprimierend, wenn du in Gebiete kommst und das Gefühl hast es laufe nichts, speziell im palästinensischen Kontext den ich ja recht gut kenne. Es gibt dort verschiedene Probleme. Das eine ist eine Gesellschaftsstruktur welche relativ autoritär ist, damit will ich nicht sagen dass unsere viel weniger autoritär ist. Auch auf politischer Basis herrschen sehr autoritäre und elitäre Umgangsformen, vor allem auch sehr traditionelle Formen von politischem Aktivismus, welcher auf Parteien basiert, auf fixen Gruppierungen welche sehr intolerant sind, zwar nicht inhaltlich aber methodisch, gegenüber kreativeren Mitteln... im palästinensischen Kontext heisst das dass z.B. das Rückkehrrecht der Flüchtlinge nun schon bald seit 60 Jahren propagiert wird, aber die Aktionsformen halt nach wie vor irgendwelche Demos sind welche kein Schwein in dieser Welt interessieren und null und nichts ändern werden oder irgendwelche Erinnerungsveranstaltungen in den Flüchtlingslagern welche schlussendlich nur dazu dienen die kollektive Identität der Flüchtlinge und den Zusammenhalt zu stärken aber gegen aussen am Zustand nicht wirklich etwas ändern. Und dann dort mit den Sachen aufzutauchen die wir machen oder Aktionsformen die ihr euch gewohnt seid ist extrem schwierig. Handkehrum gibt es auch immer wieder Orte wo wir überraschende Sachen entdecken. z.B: im Flüchtlingslager Yarmouk in Syrien. Dies ist ein riesiges Lager in welchem etwa 120 - 150'000 Palästinenser wohnen, ein Stadtviertel von Damaskus und mittlerweile voller irakischer Flüchtlinge. Dort gibt es von der palästinensischen Befreiungsfront junge Leute welche seit Jahren Videoarbeit machen, völlig alleine und selbstständig angefangen haben. So müssen wir dort nicht unbedingt einen Workshop machen, sondern können zusammenarbeiten und von einander lernen.
In Libanon ist es noch ein bisschen mehr so...
Libanon ist ein sehr schräges Land, ich habe noch nie so ein kapitalistisches Land im Nahen Osten gesehen wie Libanon. Allerdings war ich noch nie in den Golfstaaten?
Libanon ist ein sehr zerklüftetes, zerrüttetes Land in welchem immer wieder Krieg herrscht, aber es ist erstaunlich was dort bei jungen Leuten an kreativem Potential vorhanden ist. Es gibt sehr viele KünstlerInnen in verschiedensten Gebieten, auch im Musikbereich sehr innovative Leute welche einfach selber angefangen haben und was rumbasteln, mehrere Videokollektive mit welchen wir seit Jahren in Kontakt stehen, diese haben sich auch selber gebildet.
Dann in Israel selber oder das was heute Israel heisst, gibt es vor allem die "Anarchists against the wall", Leute die uns auch seit Jahren sehr nahe stehen. Sie kämpfen vor allem aktiv gegen die Mauer und die Besatzung in einer sehr schwierigen Situation und riskieren relativ viel. Sie produzieren auch ihre eigenen Videos, und das machen sie sehr gut. Dort bewegt sich also einiges.
Anarchists against the wall zerstören eien Zaun
R: Ein schwieriges Pflaster für die «Anarchists against the wall» weil sie wahrscheinlich sehr wenig Rückhalt aus der Bevölkerung erfahren oder immer weniger?
HKS: Ja oder Hass. Ich meine wir in der Schweiz haben vor allem mit Ignoranz, Desinteresse, Abgestumpftheit und Materialismus zu kämpfen, nicht so sehr damit, dass die Menschen uns für das was wir tun hassen. Wobei sie in Israel sehr wohl auch mit diesen Sachen zu kämpfen haben aber halt auch mit einer sehr starken aktiven Abneigung eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung und natürlich auch von staatlicher Seite einiges anderes an Repression vorhanden ist als bei uns. Nicht zu schweigen von Libanon oder Syrien wo dies auch eine ganz andere Situation ist. Mehrere libanesische Freunde von uns werden ein oder zweimal pro Jahr verhaftet und drei Tage lang verhört weil der Geheimdienst wieder einmal wissen möchte was so läuft. Diese Verhöre sind nicht sehr lustig..
Es ist natürlich ein anderes Klima zum Arbeiten als wir es uns hier gewohnt sind. Ich finde gerade in der linken Szene wird, was dieses Kraftwort Repression anbelangt, ein bisschen übertrieben. Die meisten Leute hier haben gar keine Ahnung was Repression wirklich bedeuten kann. Das heisst nicht, dass wir das was hier passiert totschweigen sollen, aber wir sollten halt auch die Dimensionen im Kopf behalten. Gewöhnlich zeugt der Repressions-Diskurs jedoch von einem frappanten Mangel, andere Themen zu setzen und voranzutreiben.
R: Zurück zur Akzeptanz: werdet ihr denn in den Flüchtlingslagern als fremde Vögel betrachtet, wie sieht das aus? Habt ihr eine grosse Akzeptanz oder nur von gewissen Gruppen oder gibt es auch Leute die Hass gegen euch haben weil ihr andere Denkensmuster verbreiten wollt?
HKS: Grundsätzlich haben wir eigentlich gar keine Probleme. Klar gibt es Leute die es nicht unbedingt super finden was wir machen und die westlichen Einflüsse welche wir auf gewisse Jugendliche haben nicht toll finden, dabei darf nicht vergessen werden, dass in all den Ländern die ich kenne, und vor allem im Nahen Osten, die westlichen Einflüsse durch das Fernsehen verbreitet werden, und sehr sehr präsent sind. Speziell was den Materialismus anbelangt, dessen Umsetzung halt meistens an den bescheidenen ökonomischen Mitteln scheitert.
Politisch gesehen und auch sonst stossen wir auf sehr viel Toleranz und Offenheit, wahrscheinlich mehr Offenheit als wir in einem schweizer Kuhdorf antreffen würden. In einem gewissen Mass werden wir natürlich immer als Ausländer gesehen, aber da wir einerseits seit etwa 6 Jahren in dieser Region arbeiten und andererseits mittlerweile ziemlich fliessend arabisch sprechen und ziemlich viel Erfahrung haben können wir das Bild welches die Leute von uns haben auch etwas beeinflussen. In den palästinensischen Flüchtlingslagern hilft es uns natürlich, dass wir mit der ganzen Thematik sehr vertraut sind, und überall Leute kennen, einflussreiche und weniger einflussreiche. Zwischenmenschliche Beziehungen öffnen einem dort viele Wege, vereinfachen Sachen. Kleine Dinge wie dass wir einen palästinensischen Akzent haben wenn wir arabisch reden helfen uns sehr. Aber in einer gewissen Hinsicht sind es bestimmt nicht ganz einfache Gebiete in denen wir arbeiten.
Für uns, da wir nicht einfach irgendwelche Europäer sind sondern AnarchistInnen, ist der Aufprall oder die Differenzen mit den Leuten irgendwie noch grösser... in einer gewissen Hinsicht, aber für mich bedeutet Anarchismus auch Toleranz. Also auch etwas was gegenseitiges Lernen beinhaltet. Dadurch dass wir immer versuchen sehr antiautoritär zu arbeiten - das ist natürlich immer das Ideal, aber wir versuchen dem gerecht zu werden - und offen an Leute und Sachen herangehen, haben wir auch Erfolg. Wenn wir die Stereotypen von Menschen im arabischen Raum welche wir hier in Europa haben nicht wegräumen können ist es ganz sicher schwierig hier zu arbeiten. Wenn es Voraussetzung ist, nur mit Menschen zu arbeiten mit welchen sich die politischen Ziele gleich 100% decken, kannst du eigentlich am nächsten Tag wieder abreisen. Auch wir treffen dort auf sehr viel Toleranz und Offenheit, wir können mit den Menschen dort gut arbeiten und ab und zu schadet es auch nicht wenn wir unsre Ideen sanft propagieren. Nehmen wir zum Beispiel die Situation der Frauen; es hat natürlich schon gewisse Einflüsse wenn wir mit jungen Frauen von dort zusammenarbeiten. Ich will damit nicht sagen, dass dort alle Frauen unterdrückt werden auch nicht dass die Situation hierzulande goldig wäre, aber es ist sicher ein sehr präsentes Problem. Dort ist es speziell für junge Frauen sicher nicht einfach. Das soll uns nicht daran hindern trotzdem mit ihnen zu arbeiten, und an diesem Punkt können wir sicher auch einiges erreichen. Durch die Art und Weise wie wir mit den Leuten arbeiten können wir auch Vorurteile der anderen Seite abbauen. Aber mensch sollte schon bereit sein mal die klappe zu halten, zuhören und zu lernen bevor mensch das Maul aufreisst. Und das braucht Zeit. Es ist ein Prozess der über Jahre hinweg dauert, nicht einfach mal 2 Wochen da oder dort.
R:Ich hab noch ne Frage zu eurem Filmprojekt. Wie findet ihr Leute für die Workshops. Kommen die auf euch zu oder sucht ihr diese? Wie läuft das?
HKS: Der Optimalfall, wovon wir eigentlich träumen, wäre natürlich wenn die Leute auf uns zukommen würden. Das wäre auch aus antiautoritärer Hinsicht mit Abstand das Beste. Weil wir ja nicht dort sind um zu missionieren. Ich habe mich auch ein bisschen verändert in den letzten Jahren, bin wahrscheinlich ein wenig extremer geworden. In gewissen Situationen, ganz vereinfacht gesagt, sage ich mir; schau, wenn niemensch Interesse daran hat, dann ist es halt so.
Wir versuchen natürlich schon unsere Sache in einem gewissen Ausmass zu pushen, anders ginge es nicht, aber wir versuchen das auch stark zurückzunehmen. Wie gesagt gehen wir nicht dorthin um jemenschen von etwas zu überzeugen. Oft können wir Leute einfach für etwas motivieren, vor allem weil sie es vorher gar nicht gekannt haben. z.B. kreative politische Aktionsformen, viele Leute hatten gar nie wirklich die Möglichkeit dazu, oder es wäre es ihnen zum Teil gar nie in den Sinn gekommen so was zu machen.
Ganz konkret und praktisch gesagt; an einem Ort an welchem wir noch nie waren, greifen wir auf Leute zurück die wir vorher schon kannten, geben unser Interesse schon im Voraus bekannt, und versuchen dann durch lokale Organisationen interessierte Leute zu kriegen, 4-5, mit welchen wir einen Workshop machen können. Das dauert meistens eine bis zwei Wochen weil länger ist sehr anstrengend für viele, vor allem wenn sie nebenbei noch den Lebensunterhalt verdienen müssen. Wir sind natürlich 100% verfügbar wenn wir dort sind, aber sie nicht. Meistens finden sich Leute, gewisse haben dann mehr Interesse andere weniger. In den meisten Fällen sind wir halt gescheitert. Das Ziel wäre ja dass wir hinkommen, Workshops mit interessierten Leuten machen, wieder abhauen und die Leute machen ihre Sache selbstständig weiter. Kameras und so sind meistens schon vorhanden, wir versuchen auch möglichst die lokale Infrastruktur zu nutzen und nicht unser Zeux zu bringen und die Leute somit abhängig zu machen von irgendwas. Wir versuchen den Leuten zu helfen mit dem Material welches sie schon haben umzugehen. Und oft ist Material vorhanden. Wie gesagt, in den meisten Fällen sind wir gescheitert, aber es gibt schon einzelne Grüppchen die weitermachen. Sehr schön ist z.B. eine Geschichte aus dem Südlibanon wo wir inzwischen drei mal Workshops gemacht haben. Ein guter Freund von uns arbeitet jetzt vermehrt in diesem Bereich und macht was wir immer gehofft haben: er macht selber Workshops für junge Leute und das läuft tip top.
Wie gesagt wäre die Infrastruktur vielerorts vorhanden, nur kommen die Leute nicht auf die Idee oder haben keine Motivation diese für politische Zwecke einzusetzen. Wir arbeiten mit Filmkameras und einfachen Mitteln, die meisten Leute benützen diese halt nur um Hochzeiten zu filmen. Viel mehr an Material braucht es danach nicht, nur noch Wissen und Fähigkeiten die mensch entwickeln kann.
Manchmal müssen wir aufpassen, dass wir nicht von gewissen Gruppierungen für ihre Zwecke vereinnahmt werden. Mit Einer Organisation im bourjash-shamali Camp im Südlibanon haben wir mittlerweile schon drei Workshops gemacht, und ich denke dem Chef dieser Organisation ? die Organisation ist keiner Partei angeschlossen, sie ist unabhängig - geht es vor allem darum Leute zu haben welche dann die Aktivitäten seines sozialen Zentrums propagieren können damit er für die Organisation mehr Geld aus Europa kriegt. Dem versuchen wir natürlich entgegen zu wirken und die Sache in politische Bahnen zu leiten, was durchaus funktioniert. Aber das ist natürlich überall anders, es kommt immer sehr stark auf die einzelnen Personen drauf an: manche haben gerade wenns um Video geht eher künstlerische Ambitionen und andere haben andere. Für mich ist es in erster Linie ein Instrument und nichts anderes. Wir sind keine KünstlerInnen, wir sind primär politische AktivistInnen. Aber wenn jemensch an unsere Workshops kommt und es für andere Zwecke nutzen will ist mir das schlussendlich egal. Ich hoffe natürlich dass sie das machen was wir gut finden, aber was sie schlussendlich mit dem was sie bei uns hoffentlich gelernt haben machen, können und dürfen wir nicht beeinflussen. So werden wir halt auch enttäuscht, wenn wir merken dass niemensch mehr etwas macht sobald wir weg sind. Wir können höchsten versuchen einen Anstoss zu geben, und den geben wir halt meistens dadurch dass wir wieder da sind. Vielleicht auch weil sie sich nicht getrauen oder noch nicht gut genug sind um alleine was zu machen.
R: Die Filme auf eurer Homepage; sind das vor allem Filme von euch selber, das heisst Filme die ihr selbst produziert habt, oder sind da auch Filme von Leuten die z.B. an einem Workshop teilgenommen haben?
HKS: Beides. Durchmischt. Normalerweise schreiben wir dazu wer den Film gemacht hat. Wie gesagt ist es momentan in Nahr al-Bared sehr schwierig etwas zu machen und die Konsequenzen für lokale Leute sind natürlich viel gravierender als für mich wenn sie erwischt werden. Mir kann passieren dass ich aus dem Camp, aus dem Land geworfen werde und vielleicht meine Kamera kaputt gemacht wird oder so, ich komme nicht in den Knast und ich werde nicht gefoltert. In dieser Situation wie letzten Frühling als ich mich als Bauarbeiter beteiligt habe, wollte ich auch gar keinen Workshop machen, habe meinen Film völlig geheim gedreht, einen kurzen politischen Film. Gewissen Leuten sage ich das und wenn dann jemensch Interesse hat mitzumachen bin ich offen... aber es ist wie gesagt für die lokalen Leute sehr schwierig die Risiken einzugehen, dann mach ich die Sache selber.
Das Problem ist halt schon, ein zerstörtes Flüchtlingslager, 30'000 - 40'000 Leute, und es dringen keine Informationen nach draussen weil einerseits die Armee das Camp kontrolliert, kaum Journalisten hereinlässt und wenn dann begleitet von Armee und Geheimdienst, und die meisten lokalen Leute haben soviel anderes zu tun und wollen nichts nach aussen dringen lassen was aber extrem wichtig wäre. Es gibt niemenschen der wirklich versucht zu überwachen was die Armee eigentlich macht, niemenschen der schaut was passiert und dokumentiert. Verhaftungen werden nicht dokumentiert, eskalative Sachen, dass die Armee im alten Camp von Nahr al-Bared nach wie vor Wohnraum von 20'000 Menschen besetzt hält, den ganzen Trümmerhaufen immer noch blockiert, dass alles von der Armee geplündert wurde usw.
Aufräumen im Nahr al-Bared Camp
R: Und das ist vor allem weil sie genug andere Probleme haben?
HKS: das hat verschiedene Gründe, die Lebensbedingungen dort sind momentan sehr hart, so ist einfach die Energie, Zeit, Kapazität nicht da.
Die Leute leben schon seit einem Jahr in dieser schwierigen Situation, das ist natürlich anstrengend. Das andere ist sicher die Repression und die Gefahr der libanesischen Armee. Wenn du dort in einer provisorischen Unterkunft wohnst, welche wirklich nicht das wahre ist, dann weisst du was die Risiken sind wenn du politischen Aktivismus in irgendeiner Form versuchst. Und du weisst auch was der Preis dafür sein wird. Und wenn du dir ausmalst was du damit erreichen kannst sind die Risiken einfach zu hoch. Das ist verständlich.
Für uns ist es natürlich schwierig, weil wir gehen spezifisch dorthin und arbeiten und sind top motiviert sonst würden wir natürlich nicht gehen, aber wir mussten halt auch lernen damit umzugehen diese Motivation zu zügeln, weil viele lokale Leute diese einfach nicht mehr aufbringen können. Das ist etwas vom schwierigsten. Kameras können wir reinschmuggeln, alles kann irgendwie geschmuggelt werden, aber die Leute zu motivieren ist viel schwieriger.
R: Haben auch schon Medien, Massenmedien auf euch reagiert? Und in welcher Form?
HKS: Ja ab und zu. Ist zwar nicht ganz was du fragst aber wir arbeiten ab und zu mit Massenmedien zusammen, d.h. was ich oft mache, vor allem in Palästina oft gemacht habe, dass ich mit JournalistInnen der wirklich fetten Zeitungen wie Guardian etc. und z.T. auch mit Fernsehstationen arbeite weil die meistens lokal nichts wissen. Die haben unseren Kontakt und wir arbeiten meistens mit ihnen weil wir dadurch auch ihre Arbeit ein bisschen besser zu machen versuchen. Weil manche können es einfach nicht besser, weil sie's nicht kapieren und die lokalen Kontakte nicht haben, und manche wollen es logischerweise auch gar nicht besser machen. Aber es ist nachvollziehbar dass einer der von Nichts eine Ahnung hat nicht einfach in ein Flüchtlingslager marschiert wo hundert bewaffnete Leute in den Strassen stehen. Aber wenn ich die richtigen Kontakte vor Ort habe kann ich diese JournalistInnen reinholen so können sie auch tiefere Sachen machen als sonst. In Nahr al-Bared habe ich eine Kollegin ohne Bewilligung hereingeschmuggelt, ich war 3 Wochen illegal drin obwohl es von der Armee bewacht
wurde und einen Journalisten der NZZ habe ich reingeschmuggelt. Die wären ohne mich nicht hereingekommen. Aber trotz Massenmedien ist es in meinem Interesse dort mediale Aufmerksamkeit zu schaffen und dadurch dass sie mit mir unterwegs sind kann ich das Ganze auch in einem gewissen Masse beeinflussen.
Sonst gibt es so Einzelfälle. Wir hatten letztes Jahr in Palästina zwei Kurzfilme welche wir nur geschnitten und publiziert aber nicht selber gefilmt haben. Der eine Film handelte davon, dass ein junges Mädchen von der israelischen Armee als Schutzschild für Hausdurchsuchungen benutzt wurde, beim anderen konnte gefilmt werden wie vier Soldaten in einem Jeep zwei junge Palästinenser als menschliche Schutzschilder benutzt haben... darauf sind die Medien natürlich voll abgefahren. Al-Dschasira, al-Rabia, al-Manar, also die grossen arabischen Fernsehstationen haben unser Material veröffentlicht, nicht unbedingt in einer Art und Weise die wir immer als gut empfunden hätten aber immerhin ging etwas raus.
Gerade in Nahr al-Bared haben wir bis jetzt eine sehr einzigartige Position, weil wir die einzigen sind welche dort wirklich unabhängig arbeiten und filmen, obwohl mensch nicht kann und nicht dürfte. Die einzigen die rein dürfen sind Al-Dschasira und die sind begleitet vom Geheimdienst und machen vielleicht einige komische humanitäre Beiträge aber sicher keine politischen Inhalte. Aber dadurch das die meisten JournalistInnen nicht rein dürfen, sich nicht rein getrauen und auch nicht wissen wie sie Sachen reinschmuggeln und rein schleichen können und ihnen auch die Kontakte fehlen haben wir in gewisser Weise das Monopol dort.
Ich war ein bisschen enttäuscht. Dieses Jahr habe ich einen Film gemacht in welchem ich ganz klar zu belegen versucht habe dass von der libanesischen Armee gezielt Häuser nicht nur geplündert sondern auch angezündet wurden. Dafür hatte ich ganz klare Belege geliefert, aber es hat Null und nichts ausgelöst. Was schade ist weil, ich war bis jetzt der Überzeugung dass es einer der besseren Filme war die ich gemacht habe. Aber es scheint kein Thema mehr zu sein und ist auch nicht mehr so spektakulär. Dass sich politisch gesehen niemensch darum schert war eh klar, weil wenn sich Massenmedien für Sachen von uns interessieren ist das nicht weil sie das politisch gut finden, dann geht es halt vor allem um Spektakel, so werden Massenmedien regiert. In gewissen Momenten können wir das ausnutzten. Aber grösstenteils machen wir keine spektakulären Sachen.. ich bin Soziologe und die Filme auf die ich Einfluss habe sind halt schon eher aus dieser Perspektive. Zum Vergleich: wenn ich in Libanon zum Thema Migration einen Film mache dann wären das vor allem Interviews mit Leuten. Wenn irgendeine Fernsehstation was macht, dann gehen sie nachts mit den Leuten über die Grenze, illegal und... du weisst nachher nicht mehr als vorher aber es ist halt attraktiver anzuschauen. Aber ich hoffe das mein Ding schlussendlich interessanter sein wird. Dass ich solchen Leute die nicht wirklich Kontakt mit MigrantInnen haben, ausser sie sehen sie einmal pro Woche mit Migrosgutscheinen beim Einkaufen, die Anliegen dieser Leute näher bringen kann. Dass das aber niemenschen interessiert ist mir eigentlich klar.
R: kriegt ihr denn viele Rückmeldungen?
HKS: Jein, ja, langsam schon. Es spielt sich immer mehr ein. Wir sind ja auch noch nicht so lange dran, unter diesem Namen. Wir haben ab und zu Anfragen von Filmfestivals. Aber wir produzieren unser Zeux halt nicht für Filmfestivals in diesem Sinne, natürlich würden sich einige Filme eher eignen als andere...
Relativ oft haben wir Anfragen von anderen AktivistInnen welche Interviews wollen oder Filmmaterial oder Sachen übersetzen wollen...
Ja, ja... es kommt langsam immer mehr. Und das ist gut, weil wir unsere Sachen ja auch so rausbringen wollen dass möglichst viele Leute sie sehen. Aber wir werden dafür sicher nicht unsere Seele verkaufen. Es ist nicht ganz leicht. Das Internet hat ja schon den Vorteil dass du einfacher Sachen veröffentlichen kannst, aber der Nachteil ist, dass eine derart massive Überflutung vorhanden ist, dass im selben Moment da die Möglichkeiten steigen das Interesse sinkt, bzw. abstumpft. Dass selbst die Sachen die wir produzieren bloss konsumiert werden. Das zu ändern ist nicht möglich. Wir veröffentlichen unser Material, welches wir vielerorts online haben, auch auf youtube wobei wir genau wissen, dass youtube nicht unserer politischen Himmelsrichtung entspricht. Wir wollen halt auch Leute erreichen die sonst nicht auf unser Material stossen würden. Ich bin überzeugt dass 99 % der Leute die unser Material auf youtube anschauen dies aus einem ganz anderen Blickwinkel tun als ich dies tun würde. Im Stil von wow da geht's ab oder halt einfach konsumistisch, spektakulär usw. aber es ist die einzige Möglichkeit sie zu erreichen. Bei den Infoveranstaltungen ist das ganze natürlich ein wenig anders, weil da meistens Leute kommen welche schon ein gewisses Interesse mitbringen, aber auch dort habe ich ehrlich gesagt oft das Gefühl dass ich Entertainment mache, wenn z.B. keine Fragen aus dem Publikum kommen oder die Fragen völlig an der Oberfläche sind. Aber es gibt natürlich auch das Gegenteil. Wir versuchen unsere Arbeit und Kurzfilme nicht in Form einer Ware zu machen. Aber diese Warenform ist einerseits durch uns definiert, andererseits auch durch diejenige Person welche sich das Ganze anschaut. Dies ist nur bis zu einem gewissen Mass beeinflussbar, zu einem grossen Mass nicht. Damit müssen wir leben. Auch ein Grund warum der ganze Filmaktivismus nur eine Seite für uns ist, und direkter Aktivismus on the ground ganz klare Priorität hat. Ich habe zwar in Nahr al-Bared, abgesehen vom Wiederaufbau nicht viel gemacht was du als direkten Aktivismus betrachten könntest, nur kleine Sachen, aber ganz klar ist dass wenn es abgeht, wenn geschossen wird und es Strassenschlachten gibt, lege ich die Kamera weg und bin mittendrin. Sicher nicht einfach ein bisschen filmen und nebendran stehen während die Leute erschossen werden. Dort haben wir eine direkte Wirkung und direkte Resultate. In Palästina haben wir das immer so gemacht und es brauchte nie eine Diskussion.
Was ich zum Schluss noch anfügen möchte ist dass ich ein bisschen enttäuscht bin wie wenig hier in der Schweiz an Sachen Videoaktivismus läuft. Hier sind die Mittel ja wohl wirklich vorhanden und viele Leute kennen sich damit aus. Es gibt schon ab und zu interessante Sachen aber grundsätzlich viel zu wenig. Es beschränkt sich meistens darauf dass irgendwelche Demos gefilmt werden, was zum Teil berechtigt und gut ist aber nie und nimmer genügt.
z.B denn ganzen Hype den es gegeben hat betreffend neue Ausländergesetze, Asylgesetze... ein riesen Ding, riesiges Geschrei, tausende von Demos - diese Gesetze werden nun eingeführt. Wer bewegt seinen Arsch jetzt noch? Wer von denen die vorher an den Demos rumgeschriehen haben? Das sind nicht wirklich viele. Und wer nimmt jetzt beispielsweise die Kamera und macht Interviews mit denjenigen welche vom Nothilfestopp betroffen sind?
R: kennst du den Film «Voices in Transit», ist schon ein bisschen älter, aber wäre vielleicht was du meinst?
HKS: Ja den finde ich gut. Und es gibt schon einzelne Sachen, welche auch wirklich gut sind. Aber wenn du's am Verhältnis rechnest von wieviele Leute fähig wären und auch die Mittel dazu hätten... zu dem was dann wirklich gemacht wird, dann finde ich das schon erschreckend. Irgendwo anders kennen es die Leute vielleicht nicht, sie haben keine Kamera oder es ist einfach sehr Mühsam. Im Libanon hat's zwar Kameras, aber andauernd Stromausfälle, pro tag 6 - 12 Stunden keinen Strom, das ist verdammt mühsam zum Arbeiten. Aber hier; schnellste Internetverbindungen, bester Kompi, die fetteste harddrive... aber die Leute gehen anscheinend lieber zu Sitzungen, oder machen irgendwelche politischen Wohlfühlaktionen welche eigentlich keine anderen Auswirkungen haben als dass sie das Zusammengehörigkeitsgefühl einer kleinen Minderheit von Leuten stärkt.
Hier hat die 90 min Kassette ihr Ende erreicht und mit dem hübschen Schlusssatz haben wir uns entschieden auch das Interview zu beenden und nochmals ins Wasser zu hüpfen. Merci bei dieser Gelegenheit für die ausführlichen Antworten an Hans-Kaspar Schuler.
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